22. Dezember
Das Schönste im Winter war immer das Schlittenfahren am Isarberg. Von
vier Uhr nachmittags an - also nach Schulschluß - bis zum Eintritt
der Dunkelheit wurde gerodelt, die besseren Buben hatten Schlitten,
die ärmeren nahmen gleich den Schulranzen. Der Berg war ziemlich lang
und steil, und es gab natürlich fortwährend Karambolagen und nicht
selten Verunglückte. Mit Kleinem fängt man an, und mit Großem hört
man auf: Ich holte mit noch einem ganzen Haufen Buben aus unserem
Lagerplatz einen riesigen Pferdeschlitten. Mit großer Mühe und
letzter Kraftanstrengung wurde der schwere Koloß auf den Berg
gezogen. Im Nu war er von zwanzig oder dreißig Buben besetzt, aber
die Abfahrt ging nicht so leicht. Wer sollte uns über die Bergkante
schieben? Wir konnten es doch nicht selbst, denn wir saßen ja alle
auf dem Schlitten. Die Situation wurde sofort von den vorübergehenden
Erwachsenen erfaßt, und einige starke Männer schoben den
vollbesetzten Schlitten über die Bergkrempe hinaus - aber schief! Der
Schlitten überschlug sich ein paarmal! Und dann war wieder einmal ein
Wunder geschehen, daß es keinen von uns dapatzt hatte. Dieses
Experiment wurde sofort wiederholt.
Diesmal ging es richtig den Berg hinunter, aber leider zu weit: der
Schlitten machte, unten angekommen, an einem kleinen Hügel einen
Sprung, als ob er von einer Skischanze spränge, und wir saßen bis
über die Knie im Eiswasser. Wenn auch einer von uns am anderen Tag
krank wurde, so bedeutete das kein Unglück, denn dann brauchte er
nicht in die gräusliche Schule zu gehen, das war ja noch schöner als
das Schlittenfahren, wenigstens für mich. Ich hätte jedes Schulhaus
niederbrennen können!
Karl Valentin
aus: Winterstreiche